Schnee! Als wir zum Frühstück in den
Gastraum kamen, schneite es draußen vor sich hin. Der Wetterbericht
behielt also Recht. Doch laut Vorhersage, sollte sich das Wetter ab
11 Uhr bessern. Da die Sicht echt bescheiden war, entschieden wir uns
zusammen mit Herbert und Leon erst am Vormittag aufzubrechen. Die
Etappe war mit 4-5 Stunden Gehzeit angegeben und ermöglichte uns
also auch einen späteren Start ohne in Zeitnot zu gelangen. Viel
mehr Sorgen machten uns die Schwierigkeiten der heutigen Etappe. Ziel
war die Überquerung des Aperen Madatschjoch, welche
klettersteigähnliche Passagen beinhaltete, sprich es sollte über
Eisenleitern, Trittbügel, Stahlseilversicherungen gehen und vorher
musste man noch Geröllfelder und Altschneefelder queren. Aus
technischer Sicht stand uns heute also die schwierigste Etappe der
Tour bevor. Da passte das Wetter mal überhaupt nicht dazu. In
unserem Führer wurde zudem nahe gelegt, diese Etappe nur bei schönem
Wetter in Angriff zu nehmen. Wir wollten jedoch auf jeden Fall einen
Versuch starten, um zumindest die Bedingungen am Joch
auszukundschaften. Falls wir uns gegen eine Überschreitung
entscheiden sollten, war zumindest die Wettervorhersage für den
morgigen Tag um einiges besser. Auf lange Sicht würde uns das
schlechte Wetter dann aber spätestens auf der Etappe von der
Braunschweiger Hütte nach Vent über das Pitztaler Jöchl wieder in
die Quere kommen. Während wir in der Gaststube auf besseres Wetter
warteten, konnten wir die ersten Gruppen beobachten, wie sie den
Anstieg zum Madatschjoch in 3000m Höhe in Angriff nahmen, doch schon
nach wenigen Metern verschwanden die Leute im dichten Schneegestöber.
Ich saß während der Wartezeit über
meinen Karten und arbeitete an einem Plan-B, der uns über das
Verpeil-Joch ins Pitztal bringen sollte. Doch ein Gast der
Verpeilhütte konnte uns davon nur abraten, da er diese Tour gestern
gegangen sei und es extrem rutschig und gefährlich gewesen war. Das
Warten und das ständige Hin und Her zwischen „Ach so schlimm wird
es dort oben nicht sein, das schaffen wir heute schon“ und „Bei
dem Wetter sollten wir die Etappe lieber morgen angehen“ nagte ganz
schön am Nervenkostüm und war unerträglich. Ich vertiefte mich
weiter in meine Karten und versuchte mir die heutige Route exakt
einzuprägen, um mich etwas von den Gesprächen der anderen
abzulenken.
Gegen 10 Uhr schien sich das Wetter zu
bessern. Der Schneefall hatte aufgehört und zwischen den
Wolkenfetzen war immer wieder kurz der blaue Himmel zu sehen. Eine
halbe Stunde später standen wir alle abmarschbereit vor der Hütte.
Wir folgten dem südlichen Weg Richtung Madatschkopf und nach dem wir
den nahen Verpeilbach überquerten, waren wir auch schon im Anstieg,
der uns mit ca. 1000Hm zum Aperen Madatschjoch bringen würde. Wir
waren noch keine 10 Minuten unterwegs, als der Schneefall wieder
einsetzte. Im Gänsemarsch schlängelten wir uns still schweigend den
Weg hinauf. Doch plötzlich zuckte Rico vor mir zusammen und hielt
sich mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen Oberschenkel. Er schien
einen Krampf zu haben und wir hielten alle inne. Herbert und Leon
halfen mit Magnesiumtabletten aus, während wir versuchten den Krampf
durch Dehnen zu lockern. Doch es wollte einfach nicht besser werden.
Da wir die Beiden nicht weiter aufhalten wollten, schickten wir sie
voraus, falls wir es nachkommen würden, sieht man sich ja wieder auf
der Kaunergrathütte. Doch Rico konnte auch nach längerer Pause
nicht weiter und so entschieden wir uns, zur Verpeilhütte zurück zu
kehren. Nur langsam und mit vielen Unterbrechungen meisterten wir den
Abstieg und erreichten eine Stunde später wieder die Hütte. Zum
Glück waren für heute Abend nur wenig Gäste angekündigt und wir
konnten unsere Lager wieder beziehen. Wir stärkten uns erstmal mit
einer köstlichen Knödelsuppe im warmen Gastraum. Doch schon bald
trafen die ganzen Sonntagsausflügler, teilweise ganze Großfamilien,
auf der Hütte ein und es ging ganz schön wild her. Uns wurde das zu
viel und wir zogen uns in das Lager zurück. Mittlerweile hatte sich
das schöne Wetter durchgesetzt und während Rico sich ausruhte,
nutze ich die Möglichkeit mit seiner Kamera auf Fotosafari zu gehen.
Ich stieg nochmals den selben Weg auf und konnte dabei einige
fantastische Bilder schießen.
Die Kulisse rund um die Verpeilhütte ist einfach traumhaft. |
Wieder zurück auf der Hütte genossen
wir das herrliche Wetter und die tolle Umgebung draußen bei einem
Stück frischem Schoko-Kirsch Kuchen. Gegen Abend leerte sich die
Hütte und es blieb nur eine Hand voll Übernachtungsgäste übrig.
Es wurde der gemütlichste Hüttenabend der ganzen Tour. Wir hatten
wie immer viel zu lachen, doch immer wieder zuckte Rico vor Schmerzen
zusammen. Vom Hüttenteam bekam Rico sogar noch Franzbranntwein zum
Behandeln seiner Krämpfe. Vom Gastraum aus beobachteten wir, wie die untergehende Sonne die Gipfel rund um die Verpeilhütte zum glühen brachte. Der Abend wurde lang und erst zur
Hüttenruhe begaben wir uns ins Lager zum Schlafen.
Die untergehende Sonne ließ die Felsen erleuchten. |
Am Morgen wurde unsere Hoffnung auf
eine Fortsetzung der Tour jäh zerbrochen. Selbst die Treppe vom
Schlafraum zur Gaststube bereitete Rico Probleme und so mussten wir
uns nach dem Frühstück beim Hüttenteam verabschieden und nahmen den
Fahrweg hinunter nach Feichten ins Kaunertal. Dort erwischten wir
prompt einen Postbus, der uns zum Bahnhof nach Landeck brachte. Hier
trennten sich dann unsere Wege. Während ich den Zug Richtung
Bodensee nahm, um in Oberstdorf mein Auto zu holen und noch ein paar
Tage im Allgäu zu verbringen, war Rico unterwegs Richtung München,
um von dort weiter nach Leipzig zu kommen.
Total unerwartet hieß es dann Abschied nehmen. |
Nun saß ich also total unerwartet im
Zug nach Bregenz. Das Bergpanorama, welches uns in den letzten Tagen
so häufig verwehrt wurde, zog draußen an mir vorbei. Die letzten
Stunden waren wie im Flug vergangen und so richtig hatte ich noch
nicht realisiert, dass es jetzt schon zu Ende sein sollte.
Herausgerissen aus einem Traum und zurück ins wahre Leben
katapultiert. Seit 6 Tagen waren wir jetzt schon gemeinsam in den
Alpen unterwegs und auf einen Schlag, saß man im Zug nach Hause.
Genauso plötzlich kam dann der Schlaf. Es machte sich bemerkbar,
dass ich den letzten Nächten kaum geschlafen hatte und obwohl der
Zug nicht annähernd so bequem war wie die Betten der letzten Tage,
schlief ich schneller ein als gedacht.
Später sollte sich herausstellen, dass
es keine Krämpfe waren die Rico und mich zum Aufgeben gezwungen
hatten, sondern Rico sich einen Muskelfaserriss zugezogen hatte.
Trotzdem haben wir uns schon fest vorgenommen unsere Alpenüberquerung
in den nächsten Jahren fortzusetzen. Dann soll es von Bozen aus bis
zur Verpeilhütte gehen, um die Tour dort abzuschließen wo wir
dieses Jahr aufgeben mussten.
In diesem Sinne
Keep on walking!
Fabian